Liebe Susi!

Lieber Jonny und liebe Conny!

Lieber Philip und liebe Sonja!

Liebe Großeltern von Stephan!

Liebe Angehörige, Freunde und Bekannte!

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Polizei!

 

Im Buch des Predigers wird die Ambivalenz des Lebens beschrieben. Wir hören von zuversichtlichen und hoffnungsvollen Aussichten, aber auch von leidvollen und schmerzhaften Gedanken.

So schreibt der Prediger:

Alles hat seine Zeit

Ein jegliches hat seine Zeit:

geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;

weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;

klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;

schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;

lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;

Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:

Ja, Geboren werden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit!

Hier stocke ich und möchte wiedersprechen, denn für Stephan war Sterben nicht an der Zeit, noch nicht, noch lange nicht!

Deshalb stehen wir auch so betroffen da,

hilflos, nicht begreifend, was passiert ist.

Ohnmächtig, viele von uns und besonders ihr als Familie – als Mutter, als Vater, als Bruder, als Großeltern.

Ohnmächtig, viele von uns, weil wir noch gar nicht so recht verstehen, was da geschehen ist.

Der Kopf denkt es, aber die Gefühle stellen sich quer.

Stephan, den ihr kanntet, der euch vertraut, dessen Stimme ihr noch im Ohr habt, er ist nicht mehr.

Ja, Stephan ist tot.

Fassungslos müssen wir akzeptieren, was wir nicht glauben wollen, fragend versuchen wir zu ergründen, warum es passiert ist - wie es passiert ist.

Und wir merken, dass wir immer wieder zurückgeworfen werden auf unsere Hilflosigkeit, unsere Ohnmacht, unseren Schmerz und unsere Trauer.

Am liebsten würden wir die Zeit anhalten und  zurückdrehen, vor jenem verhängnisvollen Tag.

Wir erleiden, was geschehen ist, und wir müssen ertragen, was wir nicht begreifen können.

Wir hängen an dem verzweifelten Wunsch, es möge nicht Wirklichkeit sein, was wir nicht mehr leugnen können.

Deshalb sind wir auch heute hier zusammengekommen, um von Stephan Abschied zu nehmen.

Sterben hat seine Zeit – aber auch geboren werden hat seine Zeit und lachen hat seine Zeit; reden hat seine Zeit und tanzen hat seine Zeit;

lieben hat seine Zeit, das heißt:  Leben hat seine Zeit.

Stephan hat gelebt. Bewußt und intensiv, jeden Tag, jede Stunde nutzend. Er war offen für die Welt, für die Menschen mit denen er zusammen war, für die Natur, die ihn umgab, für das Leben, das er in vollen Zügen genossen hat.

Leben hat seine Zeit und lieben hat seine Zeit – eigentlich müssten alle, die Stephan kannten, von ihm erzählen.

Erzählen, was er für ein Mensch war, welche Stärken er hatte, was er gut konnte, was ihr an ihm liebtet, erzählen von seiner Art, wie er sein Leben führte, sein Wesen beschreiben, und erzählen, was ihr an ihm schätztet, wenn ihr mit ihm  zusammen ward, aber auch die Schwächen nicht auslassen, auch erzählen, wenn Spannungen es gab, wo man sich fremd blieb, wo Nähe vielleicht nicht möglich war.

Ja, ihr müsstet  erzählen – von gemeinsamen Geschichten, gemeinsamen Begegnungen und  Erlebnissen.

Ich glaube, wir würden sehr lange zusammensitzen und es würde ein Puzzle entstehen, das ganz unterschiedlich wäre mit vielen Facetten, ein Bild, das uns Stephan noch einmal ganz nahe bringen würde. 

Ja, ihr müsstet erzählen!

Leben hat seine Zeit und lieben hat seine Zeit

Hier müsstet ihr, Susi und Jonny erzählen,

von der Geburt eures Sohnes, der nicht warten konnte und schnell unterwegs war, auf dem Weg ins Leben. Ja, er kam mit Pauken und Trompeten. Du, Jonny, wurdest zum Geburtshelfer, warst leicht überfordert, hast aber alles gut gemeistert, der ärztliche Notfalldienst am Telefon war deine Rettung.

Stephan war da und sein Schreien war Musik in euren Ohren. Ja, diese Anfangsgeschwindigkeit, mit der ins Leben drängte, sollte sich fortsetzen und ein Markenzeichen für ihn werden.

Ja, Stephan war sehr schnell unterwegs, er war ein Energiebündel mit einer unbändigen Lust auf Leben.

Diese überschäumende Energie brachte aber mit sich, dass es immer wieder zu Verletzungen kam, am Kopf, an den Zähnen, an fast allen Körperteilen – wie sagtet ihr – Stephan hat alle Notfalldienste Berlins getestet – und für gut befunden.

Er war ein Mensch, der auf der Überholspur war und immer gewinnen musste, bis auf seine erste Freundin, die ließ er beim Spielen gewinnen – hier deutete sich schon etwas von seiner großzügigen Art an.

Das Stephan Polizist werden wollte stand schon sehr zeitig fest. Als er mit 5/6 Jahren ein Polizei-T-Shirt geschenkt bekam, hat er es Tag und Nacht getragen.

Wie sagtet ihr – es ist mit ihm mitgewachsen.

Wenn du, Jonny, ihn mit zur Dienststelle nahmst, war sein erster Gang zur Waffenkammer – und im Anschluss musste nachgezählt werden, ob noch alle Waffen da waren.

Falls mal keine Spielzeugpistole vorhanden war, hat er sich eine aus Brotscheibe gebissen. Das immer währende Spiel „Polizist und Verbrecher“ sei hier nur am Rand erwähnt.  

Du, Philip, müsstest von den Jahren in Amerika erzählen, in denen ihr euch näher gekommen seid, in denen ihr zusammengewachsen seid. Es war eine Reifungsphase, die euch stark gemacht hat. Ihr habt gemerkt, in der anfänglichen Fremde braucht ihr euch und gemeinsam seid ihr stärker. 

Zurück in Berlin, war die Motivation in der Schule bei Stephan nicht die stärkste und die Noten fielen etwas mäßig aus. So kam es dann zu dem berühmten Vater-Sohn Gespräch bei Mc Donalds mit dem Aufzeigen der zwei Möglichkeiten. Und siehe da, Stephan wählte die zweite, mit der Schule ging es bergauf und am letzten Tag der Bewerbungsmöglichkeit für den Polizeidienst wurden die Unterlagen eingereicht und die Zusage kam. Die neue Uniform saß perfekt und in der Schule war er einer Besten. Der einzige Wermutstropfen, war eine Schranke bei der Ausfahrt aus der Polizeischule, die nicht schnell genug öffnete.

Aber das Sonnenlicht soll wohl auch sehr stark gewesen sein. 

Du, Susi, erzähltest von sehr intensiven Gesprächen mit Stephan, hast ihn als einen kleinen Goethe beschrieben, der sich tiefgehende Gedanken machte voller Lebensweisheit über das Leben und die Menschen.

 

Die Großeltern müssten erzählen, der Opa, bei dem Stephan immer wieder scherzend erwähnte, dass bei Wanderungen, die Wandervögel nur noch wandern.

Auf jeden Fall hat er durch die Großeltern seine Liebe zur Natur entdeckt und die Liebe zur Fotographie.

Eine Spiegelreflexkamera sollte es sein und so Bilder machen wie Opa, das war einer seiner vielen Träume.

Ja, dieses Jahr war ein geiles Jahr, ein Traumjahr, so hat es Stephan beschrieben:

Mit Papa im Spreewald gewesen, Schwimmen und Fahrradfahren. Auf Mallorca Männerurlaub – gewandert, Fahrrad gefahren, das Leben genossen in vollen Zügen, mit Norman in der Sächsischen Schweiz gewandert und gecampt und dann Amerika, seine zweite Heimat, hier war er mit seinem Kleinen, wie er dich liebevoll nannte und mit Conny, ihr seid durchs Land gefahren, in der Natur gewesen, im Haus der Großeltern, mit dir Jonny ist er jeden Tag am Strand spazieren gegangen, ihr habt über Gott und die Welt geredet und Haifischzähne um die Wette gesammelt (und du hast jedes Mal verloren) und am Ende des Tages saht ihr die Sonne ins Meer plumpsen!

Lieben hat seine Zeit und Leben hat seine Zeit!

Stephans Eitelkeit müsste erwähnt werden. Haare, Körper, Hautpflege – gut aussehen und gut riechen –

Das war seins!

Und Essen – mal den Ernährungsberater raus kehren und  mal schaufeln ohne Ende.

Wenn es um Organspende ging, da erwachte sein Missionseifer, da konnte er zum Prediger werden.

Du, Philip, warst sehr stolz auf deinen Bruder. Und Stephan hat mit dir rumgeprahlt und hatte auch zu Sonja eine besondere Verbindung.

Leben hat seine Zeit und  lieben hat seine Zeit.

Es müsste erzählt werden, was er für ein Polizist war.

Ihr müsstet erzählen, seine Freunde, seine Kolleginnen und Kollegen.

Das es sein Ding war Polizist zu werden erwähnte ich schon, aber wie er es gelebt hat, das habt ihr mir erzählt.

Er wollte immer ein guter Polizist sein, hat sich engagiert, war freundlich, hilfsbereit, akkurat und wollte Vorbild sein.

Hängte manchmal den harten Typen raus und hatte eigentlich einen ganz weichen Kern.

Ich erinnere an die Wette und sage nur:

Stephan – ein Mann ein Wort – ein Boratkostüm!

In diesem Zusammenhang wäre darüber nachzudenken, ob man oder ob Stephan eine Laterne rückwärts hochklettern kann?!

Kommen wir zum Dienstlichen zurück. Für seine Ausrüstung hätte er eigentlich zwei Gürtel gebrauchen können und im Sport wollte er immer der Erste und der Beste sein. Nicht umsonst fuhr er zum Vergleichswettkampf der BFE´s.

Sein Traum waren die Spezialeinheiten SEK, GSG9

Dahin wollte er und er hatte das Zeug dazu.

Auch im sportlichen Bereich war er ein Grenzgänger, immer am Limit – so hat er gelebt und so ist er gestorben!

 Lieben hat seine Zeit.

Es gäbe noch viel so viel von Stephan zu erzählen und ich hoffe, ihr findet die Zeit dafür.

Friede hat seine Zeit.

Jetzt aber müssen wir Abschied nehmen von Stephan und wir fragen uns:

Was wird bleiben?

In dem Kondolenzbuch, das auf der Hundertschaft auslag, stand auf der ersten Seite:

Menschen treten in unser Leben und begleiten uns eine Weile. Einige bleiben für immer, denn sie hinterlassen ihre Spuren in unserem Herzen!

Und in einer Traueranzeige las ich:

„Nach der Zeit der Tränen und der tiefen Trauer bleibt die Erinnerung“

„... und immer sind da Spuren deines Lebens, Bilder, Augenblicke und Gefühle, die uns an dich erinnern und uns glauben lassen, dass du bei uns bist.“

Ich glaube daran, dass der Tod nicht das Ende ist, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass all das Reden und Schweigen, Tun und Lassen, alles Suchen und Verlieren, alles Streiten und Lieben, alles Weinen und Lachen eines Menschen verloren geht.

All das, was ihr bei Stephan erlebt habt, seine Lebensenergie, seine Power, seine Sensibilität, seine Verrücktheiten, seine Offenheit, sein freundliches Wesen, seine Zielstrebigkeit, und sein großes Herz –

All das geht nicht verloren, sondern es ist aufgehoben in uns, in unserem Gedächtnis, in unserem Herzen und auch im Gedächtnis Gottes.

Ich glaube daran, dass seine Seele weiterlebt.

Je größer die Liebe, desto größer die Erinnerung.

Oder wie der Prediger schreibt:

Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.

Daran glaube ich, darauf hoffe ich.              Amen

 

 

 

 

Ich möchte mit Ihnen beten

Gott, wir hängen dem verzweifelten Wunsch nach, es möge nicht geschehen sein, was geschehen ist.

Es bleibt so sinnlos.

Gott, du bist uns fremd geworden, so fremd, wie diese Tage nach diesem Tod.

Wir möchten gerne glauben, dass wir hier nicht stehenbleiben müssen, dass es nicht so leer bleibt in uns.

Gott, bringe uns über diesen Tod hinaus, damit wir die Freiheit lernen, uns an erlebter gemeinsamer Geschichte zu freuen und sie mit dem, was kommen wird zu verbinden.

Gott, wir müssen Stephan loslassen.

Das fällt uns ganz schwer.

Mache uns dazu bereit, damit wir uns nicht in der Trauer verlieren.

Hilf, dass wir den Wert der Tage ermessen, die uns füreinander gegeben sind.

Wir bedenken, was Stephan für unser Leben bedeutet; wofür wir zu danken und was wir für unser Leben zu bewahren haben, aber auch was wir selbst versäumten und schuldig geblieben sind.

Gott, hilf uns, der Liebe treu zu sein, die Brücken schlägt

zwischen denen, die kommen, und denen, die gehen. Amen

 

 

 

 

Die Familie Walker dankt dem Berliner Polizeipfarrer Reinhard Voigt zutiefst für die passendsten Worte, die man nur hätte finden können - Und für die Kraft, die er uns Allen durch sein Zuhören geschenkt hat. Er hat uns in positiver Erinnerung zum Weinen gebracht. In humorvollem Gedenken - in Zeiten des tiefsten Schmerzes - trotzdem ein Lächeln auf die Lippen gesetzt. Und allen Beteiligten mit seinen Worten ein Bild von Stephan gemalt. Genau so wie er war...